The Jewish Girl

https://www.lesbengeschichte.org/bio_charlaque_d.html

Charlotte Charlaque, 1892 in Berlin-Schöneberg mit dem Namen Scharlach geboren, hatte eine bewegte Lebensgeschichte. Migration, Mehrsprachigkeit, das Überleben als Jüdin in einer feindlichen Umgebung und die Suche nach Liebe und Glück entgegen aller Widerstände – all diese Dinge sind meiner eigenen Biografie so sehr eingeschrieben, dass mir eine E-Mail, die ich vor fast genau einem Jahr erhielt, wie das Klopfen des Schicksals erschien. Mir wurde angeboten, Charlotte Charlaque in einem Film über das queere Berlin des frühen 20. Jahrhunderts zu spielen. Charlotte war eine der trans Patientinnen von Magnus Hirschfeld, des Sexualwissenschaftlers, dem wir die erste „Queer Theory“ zu verdanken haben. Mit der Künstlerin Toni Ebel, die 1933 zum Judentum konvertierte, verband sie mehr als nur eine jahrzehntelange Freundschaft und das gemeinsame Überleben trotz Verfolgung und bitterster Armut. Toni und Charlotte sind für mich die tragischste lesbische Liebesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts – eine von sicherlich vielen, die durch den Nationalsozialismus auseinandergerissen wurden und von denen wir nie etwas erfahren werden. Außergewöhnlich ist an dieser, dass beide Frauen nicht nur Lesben und Jüdinnen waren, sondern auch transgeschlechtlich in einer Zeit, in der das eigentlich fast unmöglich schien.

Ob ich das Recht habe, eine transgeschlechtliche Frau zu spielen, habe ich mich lange gefragt. Manche werden diese Frage anders beantworten als ich, und natürlich erkenne ich diese Meinungen an. Nur ist es so: ich konnte nicht anders, als es zu tun. Wäre ich an diesem sonnigen Herbsttag nicht in den ICE gestiegen, hätte ich nicht für die Rolle vorgesprochen, hätte ich es für immer bereut. Wenige Monate später verbrachte ich dann eine bewegende Woche im verschneiten Berlin. In einer Drehpause besuchte ich das Jüdische Museum noch mit vollkommen aus der Zeit gefallenen, ausrasierten Augenbrauen. Das Bild von mir, auf dem ich als jüdisches Schneewittchen zwischen hohen Steinsäulen umhergehe, wirkt ein bisschen wie ein Selfie beim Denkmal für die ermordeten Juden am Brandenburger Tor. Ähnlich uneben ist der Boden in diesem Außenbereich des Museums, der sich „Garten des Exils“ nennt. Nur einen wichtigen Unterschied haben die beiden Bauwerke: auf den Stelen des „Gartens“ wachsen lebende Pflanzen, Ölweiden. Eine schöne Metapher für den Lebenshunger derer, die durch die Emigration alles verloren haben. Auch auf mir wächst und blüht es, entgegen allem, was die Frau, die ich bin, verhindern wollte. Die Rosen, die meine Brust überwuchern, schmücken auch das Abendkleid, das ich in einer Szene des Films trage.

Ich sage manchmal, dass ich trans und eine Frau bin, aber keine trans Frau. Wie es sich anfühlt, für die eigene Weiblichkeit erbittert gekämpft zu haben, weiß ich aber durchaus. Das ist es, was mich mit Charlotte und vielleicht mit allen trans*weiblichen Personen verbindet: „Sie haben versucht, uns umzubringen, wir haben überlebt“, um den alten Spruch über den Ursprung der meisten jüdischen Feiertage zu zitieren. Der Zynismus einer Person, die vor kurzer Zeit recht öffentlich kommentierte, transgeschlechtliche Personen hätten sich im Gegensatz zu Juden*Jüdinnen während des Nationalsozialismus ja bestens verstecken können, erscheint geradezu grotesk. Ich könnte an dieser Stelle nachhaken, warum eine deutsche Goja meint, dass das Jüdischsein unübersehbar in einen Menschen eingeschrieben sei, aber natürlich geht es dieser Person niemals auch nur um eine interne Logik. So wie der (erdachte) Jude immer sofort zu erkennen und gleichzeitig immer trügerisch-unsichtbar ist, ist es auch diese Fiktion von „der trans Person“. Dass die deutschen Gesetze der Namensänderung viel strenger sind als die der meisten Länder, ist kein Zufall. Nicht, dass jemand wie ich noch versucht, deutsch und unsichtbar zu werden. Das Gesetz als eine von diesen kleinen Spuren der Geschichte, die von niemandem beseitigt worden sind.

1933 lebten Charlotte und Toni zunächst in Berlin, bevor sie zusammen in die ehemalige Tschechoslowakei flohen. 1942 wurde Charlotte schließlich von der tschechischen Fremdenpolizei verhaftet – als Jüdin. Mit großem Glück gelang ihr die Flucht in die USA, wo sie aufgewachsen war und lange gelebt hatte. Als einer „Reichsdeutschen“ wurde Toni die Emigration verweigert. Für die Geschichte der beiden war es das Ende. Getrennt starben sie früh und in Armut.

Als ich mich im braunen Pelzmantel von Toni verabschiede und unser gemeinsamer Atem im eisigen Wohnzimmer als Dampf in der Luft steht, muss ich den Schmerz des Verlusts nicht spielen. Meine Spielpartnerin auch nicht. Wir sind beide osteuropäische Migrantinnen mit einem Leben, in dem die Trennung von dem Bekannten und Geliebten unvermeidlich war. Aber noch ist es Dezember 2021 und noch weiß ich nicht, dass der Krieg kommen und sich sehr bald alles ändern wird. Noch feiere ich mit Toni den Schabbat und bringe ihr, der Konvertitin, den Segensspruch bei. Im echten Leben spricht den Segen über die Kerzen meine Frau, die noch nicht meine Frau, nicht einmal meine Verlobte ist. Am Filmset kennen nicht alle die Geschichte, die wir spielen, im Detail. Kurz gibt es Verwirrung, als ich darauf bestehe, dass Charlotte und Toni immer im Verborgenen leben konnten und niemals in ein Ghetto kamen, Baruch Hashem. Das sind die Bilder, die nicht-jüdische Deutsche nun mal gewohnt sind: „Der Pianist“ und „Schindlers Liste“.

Was es bedeutet, wenn zwei Frauen zusammen auf der Flucht sind und als Künstlerin und Übersetzerin ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, wissend, dass es jeden Tag an der Tür klopfen könnte, ist eine andere jüdische Geschichte. Dafür, dass ich sie miterzählen durfte, bin ich für immer dankbar.

Selbsthassende Lesben

Photo Credit: I AM MIA (2022)

Das Einzige, worauf wir uns verlassen können, sind die Allianzen, die wir mit anderen Menschen eingehen. Wie brüchig diese sein können, weiß wohl niemand so gut wie ein Mensch, der selbst zeitlebens darauf angewiesen war. Was ich nicht meine, wenn ich das sage, ist, dass wir uns immer auf jeden anderen Menschen verlassen können oder dass im Ernstfall unsere gegenseitige Hilfsbereitschaft und Solidarität ausreichen wird, um das, was uns bedroht, abzuwenden. Was ich meine, ist: Allianzen sind unser höchstes Gut. Mit wem wir sie eingehen, bestimmt mehr als alles andere, wer wir am Ende sind.

2015 reiste ich mit der Frau, die ich in ein paar Tagen heiraten werde, nach Warschau. Der Besuch des jüdischen Museums ist mir sehr schön in Erinnerung geblieben. An diesem Wochentag waren wir fast alleine dort. Es fühlte sich sicherer an als in der Straßenbahn, in der die unzufriedenen Blicke mancher Menschen vor allem mir galten, nicht ihr. Einmal bekam ich diesen Blick nur, weil ich im kleinen Restaurant die „guten, hausgemachten“ Pierogi mit Fleisch nicht essen wollte – meine Frau erklärte dann schnell auf Polnisch, dass ich Vegetarier war. Vielleicht hatte ich mir die Feindseligkeit auch nur eingebildet.

Vielleicht, vielleicht, vielleicht. 

Auch Deutschland hat schöne Museen. Als Museumsmitarbeiter ist es mir ein Anliegen, sie zu besuchen: selbst wenn es bis zum ICE nur noch anderthalb Stunden sind und das Naturkundemuseum einer mittelgroßen ostdeutschen Landeshauptstadt winzig ist, wird es mich dennoch dorthin verschlagen. Ein Naturkundemuseum ist keineswegs unpolitisch, wenn das Herzstück der Ausstellung eine vollständige, konservierte Eiche ist, entlang deren Stamm ich eine Wendeltreppe hinaufsteige. Auf jedem Treppenabsatz ein-zwei Eichenzitate von irgendwelchen Dichtern und Denkern. Zum Glück ohne das Zitat mit der deutschen Eiche und dem Wildschwein, das sich daran kratzt, stelle ich fest. Hatte ich es hier, wo die Leute vollkommen ohne Ironie sächseln, etwa erwartet? Ich weiß es nicht.

Was mich dagegen ziemlich unvorbereitet traf, waren die Fragen des Publikums nach einer Stadtführung zum Thema „Geschichte des jüdischen Lebens in Hamburg“. Es ist eigentlich absurd, dass das jüdische Viertel Hamburgs für mich jahrelang ein Ort gewesen ist, an dem ich studieren, arbeiten und feiern gegangen bin, ohne aber mein Jüdischsein jemals auch nur in Worte fassen zu dürfen. Das Jüdischsein ist für deutsche Gojim nun mal ein ganz, ganz sensibles Thema und im Zweifelsfall hätte ich schlichtweg nicht die Autorität gehabt, darüber zu sprechen, denn ich war einer von diesen säkularen, sowjetischen Juden. Jetzt, als Alumnus der Universität, stand ich nach der Führung mit der Gruppe auf dem Platz der von Nazis zerstörten Synagoge und erlebte das Unvermeidliche. Warum denn das jüdische Leben heute so unsichtbar sei, wurde zunächst arglos gefragt. Die Führerin (Entschuldigung) antwortete sehr höflich ausweichend, wurde aber von einer Frau aus der Gruppe unterbrochen, die recht energisch einen Kurzvortrag darüber hielt, dass 60% aller antisemitischen Übergriffe von Menschen mit Migrationshintergrund ausgehen, deren steigende Zahl in den vergangenen Jahren eben auch zu einem Anstieg des Antisemitismus geführt habe.

Mein inzwischen verstorbener Opa sprach in seiner Kindheit sieben Sprachen, darunter auch Türkisch und Farsi. Wenn ich mit Granatapfel, Tahina und Koriandersträußchen an der Kasse stehe, werde auch ich gelegentlich auf Türkisch angesprochen, kann aber leider nur auf Deutsch antworten. Nicht alle von diesen Menschen sind mir gegenüber freundlich – meistens kann ich auch nicht sagen, warum. Eines kann ich aber mit Sicherheit sagen:

Die Entscheidung des Einzelnen, mir die Solidarität zu entziehen oder mich sogar anzugreifen, wird nichts daran ändern, dass ich einer Gruppe, die wie ich marginalisiert wird, weiterhin meine Solidarität anbieten werde.  

Die Behauptung, dass wir armen Detransitioner von denen, die transfeindliche Propaganda produzieren, mit offenen Armen empfangen werden, sobald wir dem Transsein abschwören, ist nichts weiter als eine Lüge. Wäre ich eine „selbsthassende Lesbe“, die nur aus verinnerlichter Frauenfeindlichkeit die Transition angetreten ist, wie sie es behaupten, dann wäre ich noch immer nicht eine von ihnen, selbst wenn ich es unbedingt wollte.

Die AfD wird die Russlanddeutschen und sogar manche sowjetischen Juden, die sich selbst für „die guten Ausländer“ halten und gegen „die schlechten Ausländer“ hetzen, niemals wirklich akzeptieren. Die AfD sind letzten Endes auch nicht die sächselnden Handwerker, die zufällig sahen, wie ich bei meiner Ankunft nachts in Erfurt nicht in das Hotel komme und mir halfen, indem sie das Schließfach zu den Schlüsseln öffneten. Die Menschen, von denen ich rede, sind Menschen mit Macht und Geld, die trotz allem, was ihre Vorfahren sich unter den Nagel gerissen haben, der festen Überzeugung sind, zeitlebens für ihren Erfolg gearbeitet zu haben und überhaupt ihres eigenen Glückes Schmied gewesen zu sein. Der unerschütterliche Glaube an das eigene Gute ist der beste kleinste gemeinsame Nenner. Wie schön wäre es, wenn ich auch nur einmal im Leben mit der Selbstverständlichkeit dieser Menschen einkaufen, Bahn fahren, aufs Klo gehen könnte. Dass ich es nicht kann, wird mir oft genug signalisiert, wenn ich es dennoch versuche.

Ich habe in meinem Leben bereits versucht, Allianzen mit denen einzugehen, die in dieser Gesellschaft die meiste Macht haben. Diese Allianzen sind nicht weniger brüchig als alle anderen, nur haben sie einen entscheidenden Nachteil: solange sie bestehen, sitze ich am kürzeren Hebel und wenn sie zerbrechen, dann immer an meinem Ende. Das bedeutet: mir werden die Vorteile meiner Integrationswilligkeit wieder entzogen und ich darf sehen, wo ich bleibe. Manchmal erzähle ich davon, dass mein estnischer Nachname von Deutschen, die mich noch nicht kennen, erstaunlich oft mit langem A ausgesprochen wird. So werde ich, ein Kappo, gegen meinen Willen zum Kapo gemacht. Eigentlich kein lustiger Scherz.

In der herbstlichen Abenddämmerung auf der Stelle der ehemaligen Bornplatzsynagoge stehend beschloss ich, erstmal nichts zu sagen. Es war kalt, ich war müde, die Frau mit den 60% würde wegen mir ihre Haltung wohl kaum ändern. Als wir hinterher alleine waren, tauschte ich mich mit der Historikerin, die die Führung geleitet hatte, aus und outete mich als Jude. Ich sagte ihr auch, dass das Erstarken der AfD in den letzten Jahren ganz sicher nicht zu einer deutsch-jüdischen Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit beigetragen hat. Sie gab mir Recht. Es war ein kurzes, merkwürdiges Gespräch.

„Ein Jude ohne eine Gemeinde ist nichts!“, warf ich meiner Frau entgegen, als wir uns einmal stritten. Mein vorbildlich-deutsches Anpassungsbestreben traf ein weiteres Mal auf den Ungehorsam, der – so kommt es mir vor – wie eine Naturgewalt bei jeder Gelegenheit aus ihr sprudelt. Zeit meines Studiums sah ich die hohen Zäune der Joseph-Carlebach-Schule nur von außen. Drinnen wurde ein Jude wie ich schlichtweg nicht erwartet. Regelrecht dankbar bin ich heute für die ersten, zarten Verbindungen, die seit Kurzem zwischen mir und der Liberalen Gemeinde entstanden sind. Die perfekte jüdische Gemeinde, die Menschen wie meine Frau und mich mit all unseren Farben aufnimmt, gibt es in Deutschland noch nicht – wir können aber zusammen mit denen, die es bereits gibt, daran arbeiten. Das gilt eigentlich für alle Communities, die es (noch) nicht gibt, obwohl Menschen wie ich existieren, existiert haben und existieren werden.

Ich existiere nicht im Vakuum. Ich existiere durch meine Entscheidungen, durch die Reibung an und mit anderen Menschen, durch meine Freundschaften, durch meine Solidarität mit anderen. Der, der ich bin, bin ich auch und vor allem durch meine Gemeinde und meine Gemeinden.

Oder, wie ich im Familienchat schreibe:

Гемайнда (Gemeindah)    

Ein trojanisches Zirkuspferd (13 Fragen)

[CN Transfeindlichkeit, sexualisierte Gewalt]

Wir saßen in einer Berliner Teestube beim Samowar, als ich sagte, dass ich in Kauf nehme, auch mal „als Zirkuspferd“ in eine Sendung eingeladen zu werden: meine ungewöhnliche Lebensgeschichte ist das, was mir ermöglicht, eine Bühne zu haben und gehört zu werden. Davor hatte N. erzählt, wie es ist, plötzlich nicht nur eine Regisseurin, sondern „die jüdische Regisseurin“ zu sein. Wenn die fragende Interviewerin selbst jüdisch ist, geht es dabei um weit mehr als nur um das vielzitierte Gedächtnis- und Integrationstheater der christlich-deutschen Mehrheitsgesellschaft. Und doch ist die jüdische Identität in der Öffentlichkeit genau das – eine zu besetzende Rolle, der wir uns unterordnen oder entziehen können. Auf meinen Einwand hin dachte N. kurz nach und sagte vielleicht das Beste, was ich zu dem Thema je gehört habe: dass ich als trojanisches Zirkuspferd in die Sendung gehen könnte.

Einige Tage vorher war ich Gast in einer Talkshow, in der das Schicksal von Menschen wie mir verhandelt werden sollte: sollte es einer trans* Person – oder vielleicht potentiell jeder Person unserer Gesellschaft – möglich sein, das rechtliche Geschlecht zu wechseln, ohne den bisherigen Prozess durchlaufen zu müssen? Das Zirkuspferd war ich hauptsächlich, weil ich eine Detransition vorweisen konnte: die geschlechtliche Transition vom Frausein zum Mannsein und wieder zurück. Ein kleines bisschen auch deshalb, weil ich das bin, was ich als „Orchidee im bürgerlichen Wohnzimmer“ bezeichne: „exotisch“ mit meiner bizarren Androgynität und gleichzeitig betont konservativ, fast schon harmlos als schmales (und sehr weißes) Hemd.

Diese Position birgt eine Falle, der zu entkommen äußerst schwierig ist. Schon war ich genau dieser Exot, der tragische Einzelfall, um den es, jedenfalls laut meinen Kontrahent_Innen, hier nicht gehen soll. Wenn nicht hier, wann dann? Aber geschenkt, ich war ja nicht da, um in erster Linie über mein eigenes Leben zu reden. Nein, es ging mir ums Ganze, um das Geschlechterverhältnis, das durch die Existenz von Personen wie mir in ein bedenkliches Wanken gebracht wird.

„Warum sind Männer eigentlich so gefährlich und Frauen eigentlich so schützenswert?“, holte ich weit aus.

Ich redete von sozioökonomischer Ungerechtigkeit, von Armut, von der in unserer Gesellschaft Frauen stärker betroffen sind als Männer. Davon, dass die meisten Überlebenden ihre Vergewaltiger persönlich und sehr gut kennen und nicht zufällig in der Sauna zum ersten Mal treffen. Ich konnte vor laufender Kamera sagen, dass Sexismus eben nicht das ist, was durch ein „biologisches Geschlecht“ erzeugt oder beeinflusst ist, und im Off noch hinzufügen, dass wir hier alle als Menschen anwesend sind und nicht als Spermien und Eizellen. Gehört wurde ich nicht, jedenfalls nicht von denen, die gegen das Selbstbestimmungsgesetz argumentieren sollten. Die ließen sich weder von meiner eigenen Erfahrung in der realen Welt beeindrucken noch von der Tatsache, dass ich Master of Science bin, Neurobiologe.

Fast noch wichtiger als meine langen Reden war ein kleiner, geradezu überhörter Einwurf von mir gewesen. Als es darum ging, ein männlicher Vergewaltiger mit weiblichem Geschlechtseintrag würde im Frauenknast seinen Mitgefangenen Schreckliches antun können, rief ich: „Ich würde in den Männerknast gehen!“

Warum hatte ich das gesagt?

Aus meiner Jugend erinnere ich mich an unzählige Actionfilme, in denen die Realität oder die Drohung einer Vergewaltigung im Männerknast ausgesprochen wird, oft als eine Art Scherz. Dieses Gedankengut wurde mir wie beiläufig eingepflanzt: dass ein Mann mit meiner Statur, ganz unabhängig von dem, was er in der Hose hat, damit zu rechnen hat, im Knast an die gekachelte Wand einer Dusche geklatscht zu werden. Sexualisierte Gewalt kennt kein Geschlecht und benötigt keine Genitalien, das beweisen die neulich geleakten Foltervideos aus dem russischen Gefängnissystem zu Genüge. Ist das Gefängnis auf eine bittere Weise ein wirklich geschlechtsneutraler Ort? Nein, ich denke nicht. Bin ich selbst denn ein wahrer Masochist oder ein Märtyrer, dass ich freiwillig dorthin gehen würde, wo mich die Gewalt des Patriarchats am härtesten treffen würde? Nein, überhaupt nicht, denke ich mir noch auf dem Spielfeld stehend. Ich bin lediglich ein Mann und ich könnte jederzeit in den Knast kommen, wie wir alle.  

Ob meine Mission als trojanisches Pferd Erfolg hatte, kann ich schwer sagen. Nur eines weiß ich: Troja waren niemals die drei Menschen gewesen, die mir an einem schönen Frühlingstag in einem Berliner Studio gegenüberstanden. Troja ist das Prinzip der Gesellschaft, nach dem zwischenmenschliche Sexualität vorsätzlich zu einem ausführenden Arm von Macht und Gewalt gemacht wird – staatlicher, patriarchaler, individueller Macht. Ich hoffe, es möge bald und laut scheppernd fallen.

Portrait of a Lady in Pain

a film review of “The Danish Girl” (2015)

I did the thing.

I finally managed to re-watch the film that pushed me over the edge into my detransition, or rather: my transition to womanhood. The warnings were fully justified – in many ways, it’s completely unwatchable for a trans person. The unnerving, never-ending accusations by a loved one. The street harassment and brutal beating, preceded by unfiltered, if French, queer-hating insults. The medical violence alone!

The constant, unflinching, full frontal view of Lili’s pain. The voyeurism.

Arguably, there is a voyeuristic element in any work on trans people that is made by cis people, coupled with and reassured by assuming that the transgender individual is somehow inherently histrionic. In this case, we are first led to follow Lili’s timid gaze through the feminine costumes of the theater and onto the exposed woman’s body at a Parisian peepshow, hinting at the age-old, transmisogynist myth that it is the feminine “essence” that trans woman Lili tries to find in the materiality of the cis women surrounding her. In what appears to be a clumsy shift in tone, we then find out that the “essence” has been inside Lili all along, just like the dreary landscapes she paints in her pre-transition melancholy. This is marked by a mirror scene of non-recognition – a rather tired trope. Lili’s gaze falls back onto herself and apparently lets us take over: we get to see all of her pastel body as well as her misery over it. We are the ones whose woman-object she becomes. It all goes downhill from here.

In the second half of the film, we take on the perspective of one who documents her “illness”. Our position is that of a crush-worthy German Doctor who sets out to cure this particular Fräulein’s severe and persistent case of hysteria. We get to know a potpourri of medical lore of the time, from homosexuality theories to the myth of the male menstruation1 manifesting as monthly cramping and nosebleeds in still-repressed Lili – perhaps a hint at the unconfirmed reports of Lili’s intersex status. Both “radiation therapy” (a.k.a. torture) and the psychoanalyst’s couch create an emotional distance to the dangerous and exotic “back-then” medicine, a backdrop against which Dr. Warnekros is made to look like an unambivalently good guy.

Strikingly, our view never seems to linger on Lili’s happiness: her perfume, her flowers, her zest for life. At best, her sensuality as a woman is captured into darkly erotic interwar portraits by her wife. The sexuality of the relationship, however, is shown to instantly wither away as soon as prim and ethereal Lili takes over. (A quick glance at the intensely sapphic works of the real Gerda Wegener2 raises questions about that, to say the least.) I assume that the film attempts to elicit compassion by showing us her suffering. We’re left, however, with sweetly-cold acceptance when we see Lili’s silken scarf flying away into the fjord: a soul so beautiful could never have stayed in a human body anyway.

Needless to say, the film left me emotionally devastated after re-watching. I believe I now understand which chord it struck in me in some years before and exactly what it unburied. Like the protagonist, I was living a relatively happy, relatively fulfilled life as a man. It’s just that my inner Lili had absolutely no intention of remaining a beautiful thing of the past. I had survived “The Surgery” already, and in early 2016, I was getting ready to live again.

Final note:

For the sake of integrity, I need to ask whether the movie plot took the liberty of artistic interpretation or attempted a close depiction of the truth. Who, truly, was “Lili Elbe”, a journalist’s moniker, or Lili Else Elvenes, her legal name after 1930?

The information I found appears contradictory in many ways. Unlike the film leads us to believe, Lili wasn’t in her early thirties at the time of the second surgery, but rather all of 49 years old. I was a bit relieved to find out that she possibly did get to have at least some years of the happy lesbian life with her artist-wife – you know, gals being pals, travelling Europe together. Her wish to marry (a man) and to give birth to a child, which the film sold to us as emotional and authentic, may have been a journalist’s attempt at “straightwashing” the couple, as discussed by trans historian Zagria3. Even the role of Warnekros, his personal motivations and thoughts on what used to be “queer theory” at the time, stay murky after the Dresden bombing of 1945 destroyed the clinic, alongside the patient files that may have answered the questions about Lili’s debated intersex status. In this light, Lili’s biography reads like a piece of trans history almost lost in a tumultuous century of repression, revision and redefinition.

[Two pink marshmallow lattes on a table, together with a notebook, a cut orchid in a small, round vase and a LGBTQ+ magazine featuring a movie still of The Danish Girl on its cover. Image taken in early 2016.]

1) https://www.thelehrhaus.com/scholarship/the-myth-of-jewish-male-menstruation/

2) http://coilhouse.net/2012/08/the-incredibly-true-adventures-of-gerda-wegener-and-lili-elbe/

3) https://zagria.blogspot.com/2015/01/lili-ilse-elvenes-surgery-and-womanhood.html#.YGmomOgzZPY