The Jewish Girl

https://www.lesbengeschichte.org/bio_charlaque_d.html

Charlotte Charlaque, 1892 in Berlin-Schöneberg mit dem Namen Scharlach geboren, hatte eine bewegte Lebensgeschichte. Migration, Mehrsprachigkeit, das Überleben als Jüdin in einer feindlichen Umgebung und die Suche nach Liebe und Glück entgegen aller Widerstände – all diese Dinge sind meiner eigenen Biografie so sehr eingeschrieben, dass mir eine E-Mail, die ich vor fast genau einem Jahr erhielt, wie das Klopfen des Schicksals erschien. Mir wurde angeboten, Charlotte Charlaque in einem Film über das queere Berlin des frühen 20. Jahrhunderts zu spielen. Charlotte war eine der trans Patientinnen von Magnus Hirschfeld, des Sexualwissenschaftlers, dem wir die erste „Queer Theory“ zu verdanken haben. Mit der Künstlerin Toni Ebel, die 1933 zum Judentum konvertierte, verband sie mehr als nur eine jahrzehntelange Freundschaft und das gemeinsame Überleben trotz Verfolgung und bitterster Armut. Toni und Charlotte sind für mich die tragischste lesbische Liebesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts – eine von sicherlich vielen, die durch den Nationalsozialismus auseinandergerissen wurden und von denen wir nie etwas erfahren werden. Außergewöhnlich ist an dieser, dass beide Frauen nicht nur Lesben und Jüdinnen waren, sondern auch transgeschlechtlich in einer Zeit, in der das eigentlich fast unmöglich schien.

Ob ich das Recht habe, eine transgeschlechtliche Frau zu spielen, habe ich mich lange gefragt. Manche werden diese Frage anders beantworten als ich, und natürlich erkenne ich diese Meinungen an. Nur ist es so: ich konnte nicht anders, als es zu tun. Wäre ich an diesem sonnigen Herbsttag nicht in den ICE gestiegen, hätte ich nicht für die Rolle vorgesprochen, hätte ich es für immer bereut. Wenige Monate später verbrachte ich dann eine bewegende Woche im verschneiten Berlin. In einer Drehpause besuchte ich das Jüdische Museum noch mit vollkommen aus der Zeit gefallenen, ausrasierten Augenbrauen. Das Bild von mir, auf dem ich als jüdisches Schneewittchen zwischen hohen Steinsäulen umhergehe, wirkt ein bisschen wie ein Selfie beim Denkmal für die ermordeten Juden am Brandenburger Tor. Ähnlich uneben ist der Boden in diesem Außenbereich des Museums, der sich „Garten des Exils“ nennt. Nur einen wichtigen Unterschied haben die beiden Bauwerke: auf den Stelen des „Gartens“ wachsen lebende Pflanzen, Ölweiden. Eine schöne Metapher für den Lebenshunger derer, die durch die Emigration alles verloren haben. Auch auf mir wächst und blüht es, entgegen allem, was die Frau, die ich bin, verhindern wollte. Die Rosen, die meine Brust überwuchern, schmücken auch das Abendkleid, das ich in einer Szene des Films trage.

Ich sage manchmal, dass ich trans und eine Frau bin, aber keine trans Frau. Wie es sich anfühlt, für die eigene Weiblichkeit erbittert gekämpft zu haben, weiß ich aber durchaus. Das ist es, was mich mit Charlotte und vielleicht mit allen trans*weiblichen Personen verbindet: „Sie haben versucht, uns umzubringen, wir haben überlebt“, um den alten Spruch über den Ursprung der meisten jüdischen Feiertage zu zitieren. Der Zynismus einer Person, die vor kurzer Zeit recht öffentlich kommentierte, transgeschlechtliche Personen hätten sich im Gegensatz zu Juden*Jüdinnen während des Nationalsozialismus ja bestens verstecken können, erscheint geradezu grotesk. Ich könnte an dieser Stelle nachhaken, warum eine deutsche Goja meint, dass das Jüdischsein unübersehbar in einen Menschen eingeschrieben sei, aber natürlich geht es dieser Person niemals auch nur um eine interne Logik. So wie der (erdachte) Jude immer sofort zu erkennen und gleichzeitig immer trügerisch-unsichtbar ist, ist es auch diese Fiktion von „der trans Person“. Dass die deutschen Gesetze der Namensänderung viel strenger sind als die der meisten Länder, ist kein Zufall. Nicht, dass jemand wie ich noch versucht, deutsch und unsichtbar zu werden. Das Gesetz als eine von diesen kleinen Spuren der Geschichte, die von niemandem beseitigt worden sind.

1933 lebten Charlotte und Toni zunächst in Berlin, bevor sie zusammen in die ehemalige Tschechoslowakei flohen. 1942 wurde Charlotte schließlich von der tschechischen Fremdenpolizei verhaftet – als Jüdin. Mit großem Glück gelang ihr die Flucht in die USA, wo sie aufgewachsen war und lange gelebt hatte. Als einer „Reichsdeutschen“ wurde Toni die Emigration verweigert. Für die Geschichte der beiden war es das Ende. Getrennt starben sie früh und in Armut.

Als ich mich im braunen Pelzmantel von Toni verabschiede und unser gemeinsamer Atem im eisigen Wohnzimmer als Dampf in der Luft steht, muss ich den Schmerz des Verlusts nicht spielen. Meine Spielpartnerin auch nicht. Wir sind beide osteuropäische Migrantinnen mit einem Leben, in dem die Trennung von dem Bekannten und Geliebten unvermeidlich war. Aber noch ist es Dezember 2021 und noch weiß ich nicht, dass der Krieg kommen und sich sehr bald alles ändern wird. Noch feiere ich mit Toni den Schabbat und bringe ihr, der Konvertitin, den Segensspruch bei. Im echten Leben spricht den Segen über die Kerzen meine Frau, die noch nicht meine Frau, nicht einmal meine Verlobte ist. Am Filmset kennen nicht alle die Geschichte, die wir spielen, im Detail. Kurz gibt es Verwirrung, als ich darauf bestehe, dass Charlotte und Toni immer im Verborgenen leben konnten und niemals in ein Ghetto kamen, Baruch Hashem. Das sind die Bilder, die nicht-jüdische Deutsche nun mal gewohnt sind: „Der Pianist“ und „Schindlers Liste“.

Was es bedeutet, wenn zwei Frauen zusammen auf der Flucht sind und als Künstlerin und Übersetzerin ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, wissend, dass es jeden Tag an der Tür klopfen könnte, ist eine andere jüdische Geschichte. Dafür, dass ich sie miterzählen durfte, bin ich für immer dankbar.