[CN Transfeindlichkeit, sexualisierte Gewalt]
Wir saßen in einer Berliner Teestube beim Samowar, als ich sagte, dass ich in Kauf nehme, auch mal „als Zirkuspferd“ in eine Sendung eingeladen zu werden: meine ungewöhnliche Lebensgeschichte ist das, was mir ermöglicht, eine Bühne zu haben und gehört zu werden. Davor hatte N. erzählt, wie es ist, plötzlich nicht nur eine Regisseurin, sondern „die jüdische Regisseurin“ zu sein. Wenn die fragende Interviewerin selbst jüdisch ist, geht es dabei um weit mehr als nur um das vielzitierte Gedächtnis- und Integrationstheater der christlich-deutschen Mehrheitsgesellschaft. Und doch ist die jüdische Identität in der Öffentlichkeit genau das – eine zu besetzende Rolle, der wir uns unterordnen oder entziehen können. Auf meinen Einwand hin dachte N. kurz nach und sagte vielleicht das Beste, was ich zu dem Thema je gehört habe: dass ich als trojanisches Zirkuspferd in die Sendung gehen könnte.
Einige Tage vorher war ich Gast in einer Talkshow, in der das Schicksal von Menschen wie mir verhandelt werden sollte: sollte es einer trans* Person – oder vielleicht potentiell jeder Person unserer Gesellschaft – möglich sein, das rechtliche Geschlecht zu wechseln, ohne den bisherigen Prozess durchlaufen zu müssen? Das Zirkuspferd war ich hauptsächlich, weil ich eine Detransition vorweisen konnte: die geschlechtliche Transition vom Frausein zum Mannsein und wieder zurück. Ein kleines bisschen auch deshalb, weil ich das bin, was ich als „Orchidee im bürgerlichen Wohnzimmer“ bezeichne: „exotisch“ mit meiner bizarren Androgynität und gleichzeitig betont konservativ, fast schon harmlos als schmales (und sehr weißes) Hemd.
Diese Position birgt eine Falle, der zu entkommen äußerst schwierig ist. Schon war ich genau dieser Exot, der tragische Einzelfall, um den es, jedenfalls laut meinen Kontrahent_Innen, hier nicht gehen soll. Wenn nicht hier, wann dann? Aber geschenkt, ich war ja nicht da, um in erster Linie über mein eigenes Leben zu reden. Nein, es ging mir ums Ganze, um das Geschlechterverhältnis, das durch die Existenz von Personen wie mir in ein bedenkliches Wanken gebracht wird.
„Warum sind Männer eigentlich so gefährlich und Frauen eigentlich so schützenswert?“, holte ich weit aus.
Ich redete von sozioökonomischer Ungerechtigkeit, von Armut, von der in unserer Gesellschaft Frauen stärker betroffen sind als Männer. Davon, dass die meisten Überlebenden ihre Vergewaltiger persönlich und sehr gut kennen und nicht zufällig in der Sauna zum ersten Mal treffen. Ich konnte vor laufender Kamera sagen, dass Sexismus eben nicht das ist, was durch ein „biologisches Geschlecht“ erzeugt oder beeinflusst ist, und im Off noch hinzufügen, dass wir hier alle als Menschen anwesend sind und nicht als Spermien und Eizellen. Gehört wurde ich nicht, jedenfalls nicht von denen, die gegen das Selbstbestimmungsgesetz argumentieren sollten. Die ließen sich weder von meiner eigenen Erfahrung in der realen Welt beeindrucken noch von der Tatsache, dass ich Master of Science bin, Neurobiologe.
Fast noch wichtiger als meine langen Reden war ein kleiner, geradezu überhörter Einwurf von mir gewesen. Als es darum ging, ein männlicher Vergewaltiger mit weiblichem Geschlechtseintrag würde im Frauenknast seinen Mitgefangenen Schreckliches antun können, rief ich: „Ich würde in den Männerknast gehen!“
Warum hatte ich das gesagt?
Aus meiner Jugend erinnere ich mich an unzählige Actionfilme, in denen die Realität oder die Drohung einer Vergewaltigung im Männerknast ausgesprochen wird, oft als eine Art Scherz. Dieses Gedankengut wurde mir wie beiläufig eingepflanzt: dass ein Mann mit meiner Statur, ganz unabhängig von dem, was er in der Hose hat, damit zu rechnen hat, im Knast an die gekachelte Wand einer Dusche geklatscht zu werden. Sexualisierte Gewalt kennt kein Geschlecht und benötigt keine Genitalien, das beweisen die neulich geleakten Foltervideos aus dem russischen Gefängnissystem zu Genüge. Ist das Gefängnis auf eine bittere Weise ein wirklich geschlechtsneutraler Ort? Nein, ich denke nicht. Bin ich selbst denn ein wahrer Masochist oder ein Märtyrer, dass ich freiwillig dorthin gehen würde, wo mich die Gewalt des Patriarchats am härtesten treffen würde? Nein, überhaupt nicht, denke ich mir noch auf dem Spielfeld stehend. Ich bin lediglich ein Mann und ich könnte jederzeit in den Knast kommen, wie wir alle.
Ob meine Mission als trojanisches Pferd Erfolg hatte, kann ich schwer sagen. Nur eines weiß ich: Troja waren niemals die drei Menschen gewesen, die mir an einem schönen Frühlingstag in einem Berliner Studio gegenüberstanden. Troja ist das Prinzip der Gesellschaft, nach dem zwischenmenschliche Sexualität vorsätzlich zu einem ausführenden Arm von Macht und Gewalt gemacht wird – staatlicher, patriarchaler, individueller Macht. Ich hoffe, es möge bald und laut scheppernd fallen.